19. Verbandstagung des VöKK – Do, 19. bis So, 22.10.2017
Katholische Privat-Universität Linz (KU Linz), Bethlehemstraße 20, 4020 Linz

Die 19. Tagung des Verbandes österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker (VöKK) nimmt das Reformationsjubiläum im Jahr 2017 zum Anlass, die eng miteinander verwobenen Kultursphären Kunst_Religion_Politik (1517–2017) erneut kritisch zur Disposition zu stellen.
Jürgen Habermas bezeichnete gegenwärtige Gesellschaften im Jahr 2001 als „postsäkular“. In unterschiedlichen Facetten tritt das Religiöse erneut in Erscheinung. Neben esoterischen und spirituellen Bewegungen im Zusammenhang von Individualisierung und Globalisierung sind religiöse Phänomene spätestens seit 9/11 auch in Form von fundamentalistischen Überzeugungen und Extremismen verstärkt im Blickfeld. Auch nach der sogenannten Aufklärung und einer angeblichen Loslösung von Kunst aus politischen und religiösen Institutionen nehmen Ikonografien und Bildtraditionen aus verschiedenen Religionen bis hin zur Gegenwartskunst eine nicht unbedeutende Rolle ein. Zugleich scheint die früher so essentielle Kategorie „religiöser Kunst“ obsolet. So blieb und bleibt das Verhältnis zwischen Kunst und Religion und deren politische Instrumentalisierungen bis heute brisant.

Die 19. Tagung des VöKK möchte dieses komplexe Beziehungsgeflecht in mehreren thematischen Sektionen analysieren. Dabei werden die Perspektiven der Kunst- und Architekturgeschichte, Denkmalpflege, Museumsarbeit sowie künstlerischer Interventionen berücksichtigt. Die Frage, inwiefern das Politische wieder und wieder mit Religionen und Künsten verwoben war und ist, soll mit Blick auf folgende vier Themenfelder, die auch die Grundlage für die Sektionen der Tagung bilden, untersucht werden.

Sektionen

I. Toleranz / Intoleranz

Sektionsleitung: Univ.-Prof.in DDr.in Monika Leisch-Kiesl, Institut für Geschichte und Theorie der Kunst, Katholische Privat-Universität Linz

Immer wieder manifestierte sich die Verschränkung von Kunst, Politik und Religion auch unter negativem Vorzeichen in Form von „Bilderstürmen“ sowie Verboten und Vorbehalten gegenüber bestimmten Bildpraktiken und Ikonografien (z.B. Reformation, Josephinisches Zeitalter, Bilderzerstörungen durch die Taliban und den IS etc.). Kunst wurde zum Gegenstand des Anstoßes und des Konflikts und fungierte als Zielscheibe religiös und politisch motivierter Aggression. Zugleich bot sie die Möglichkeit, kritische Themen wirkmächtig zu verbildlichen und sie den Betrachter_innen demonstrativ eindrücklich vor Augen zu führen. Die „Macht der Bilder“ wurde so durch den Ikonoklasmus / die Ikonoklasmen erst recht pointiert. Wie tolerant war und ist Religion gegenüber Kunst, wenn sich diese auf freie, spielerische oder kritische Weise religiösen Inhalten annähert und diese neu kontextualisiert und interpretiert? Wie respektvoll war und ist Kunst im Umgang mit religiösen Themen und Ikonografien?

  • Bilderstürme, Bilderverbote, Vorbehalte gegenüber Bildern
  • positive Formen der Aneignung und Vermittlung von Bildern
  • Kunstbegriff, Autonomie, Freiheit der Kunst

II. Transfer_Rezeption
(Forum für Dissertand_innen und Habilitand_innen)

Sektionsleitung: Dr.in Julia Allerstorfer und Dr.in Anna Frasca-Rath, Vorstandsmitglieder der Kurie Universität und Forschung des Verbandes österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker

Kunst entfaltet erst im Kontext des Dialogs mit den Betrachter_innen ihre eigentliche Wirkmacht. Die Wahrnehmungen von Kunst und ihre spezifischen Bedeutungsproduktionen sind jedoch kontinuierlichen Veränderungen ausgesetzt. Dies betrifft etwa stereotype Fremdbilder und abwertende Darstellungen von nicht-europäischen Individuen wie den sogenannten „Orientalen“ und „Mohren“, die durch kritische Theorien wie die Postcolonial und Gender Studies problematisiert wurden und werden. Im Fokus dieser Sektion stehen die Fragen, wie sich Bildwahrnehmungen und -interpretationen im Verlauf der Jahrhunderte transformiert haben und welche Rolle hierbei den Kultursphären Religion und Politik mit ihren Wirkungsradien zukam. Von Interesse sind insbesondere die produktiven Austauschmomente und transkulturellen Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Religionen. Der Transfer von Formen und Inhalten erfolgte jedoch keineswegs immer dialogisch und im wechselseitigen Interesse, da bildliche Aneignungsprozesse zum großen Teil auch konfliktbehaftet und politisch aufgeladen waren. Von diesen komplexen Rezeptionsgeschichten zeugen letztendlich „hybride“ Architekturen und Kunstwerke, die eine Vielfalt von unterschiedlichen Referenzquellen aufweisen, die wiederum auf selektiven Adaptionsprozessen beruhen.

Der Begriff der Rezeption wird im Rahmen der Sektion in zweifacher Hinsicht aufgefasst: Er bezieht sich sowohl auf Wahrnehmungsformen von Betrachter_innen als auch auf multidimensionale Transferprozesse von Formen und Inhalten.

  • Wirkungsradien von Kunst, künstlerische Transferprozesse
  • Interpretation und Neuinterpretation: Rezeptionsgeschichten im Wandel der Zeit
  • Künstlerischer Umgang mit dem „Fremden“
  • Repräsentationspolitiken: Machterhaltende Bilderfindungen und ihre Dekonstruktionen
  • Konfrontation und Deeskalation durch Bilder

III. Eschatologie_Apokalyptik

Sektionsleitung: Dr. Toni Hildebrandt, Abteilung für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart, Institut für Kunstgeschichte, Universität Bern

Die Eschatologie als Lehre von den letzten Dingen hat die künstlerische Phantasie aller Zeiten angeregt. Apokalyptische Darstellungen koexistieren im Prinzip mit der rein gedanklichen Vorstellung von einem möglichen Ende der Welt.
Während Theologie und Philosophie die Eschatologie und Apokalyptik tendenziell aber nur begrifflich und ideengeschichtlich studieren, stellt sich in der Kunstgeschichte die konkrete Frage nach einer Differenzierung der Darstellung und die anspruchsvolle Frage nach dem ikonischen Logos dieser religiösen Darstellungsinhalte: Lässt sich eine präsentische Eschatologie überhaupt visualisieren oder verbietet ihr ontologischer Status einen konkreten Modus der Sichtbarkeit? Wie würden sich präsentische von zukunftsorientierten Darstellungen der Eschatologie unterscheiden? Wie lassen sich zudem performative von deiktischen Darstellungsmodi abgrenzen? Welche Möglichkeiten (post-)apokalyptischer Narration gibt es seitens der Künste? Wie werden Utopien oder Dystopien im profanen Bereich der Kunst entworfen? Welche Gemeinschaftskonzeptionen („Kollektive“) lassen sich mit eschatologischen und apokalyptischen Zeitvorstellungen in Verbindung bringen?

  • Spannungsfeld von Kunst, Religion und Politik
  • Ikonographie und Darstellung von Eschatologie und Apokalyptik
  • Utopien/Dystopien
  • Profanierung und Umbesetzung theologischer Begriffe seitens der Kunst
  • Auseinandersetzung mit Katastrophen, z.B. dem Erdbeben von Lissabon 1755, nuklearen Katastrophen, wie in Tschernobyl 1986 oder Fukushima 2011, oder aktuellen ökologischen Krisen, wie dem Klimawandel
  • (post-)apokalyptische Narrative in der Kunst
  • Differenzierung eschatologischer Zeitlichkeit (eschaton/katechon; Messianismus; präsentische/zukunftsorientierte Eschatologie; Ende/Wende der Zeit)
  • Verbindungen von Eschatologie/Apokalyptik mit Thesen zum Ende der Geschichte oder einem „Ende der Kunst“ (Hegel)

IV. Migrationen_Identitäten

Sektionsleitung: Univ.-Prof. Christian Kravagna, Akademie der bildenden Künste Wien

Politische und mediale Migrationsdebatten sind meist auch Identitätsdebatten, die das Selbstverständnis von Gesellschaften und supranationalen Einheiten wie „Europa“ betreffen. Auf die „Turbulence of Migration“ (Nikos Papastergiadis) wird häufig mit dem Rückgriff auf reduktive Identitätskonzepte reagiert, in denen nicht zuletzt religiöse Identitäten wieder Konjunktur erleben. Die Diskrepanz zwischen der Diversität/Dynamik migrationsgesellschaftlicher Wirklichkeiten und ihrer simplifizierenden Darstellung in öffentlichen Diskursen und Bildwelten ist groß. Kunst interveniert in dieses politische Konfliktfeld, wenn sie der Varianz von Phänomenen und Erfahrungen Form verleiht und das Problem der Repräsentation an sich reflektiert.
Welche religiösen Tendenzen lassen sich in der modernen/zeitgenössischen Kunst beobachten? Wie stellt sich die Situation in Anbetracht von Migration und Diaspora dar?
Welchen Stellenwert hat der Begriff der kulturellen, religiösen, kollektiven und personalen Identität für die Kunst der Gegenwart und der Moderne?

Im Vordergrund steht die Betrachtung von künstlerischen Praktiken in post- und neokolonialen Konstellationen und gesellschaftlichen Zusammenhängen:

  • Künstlerische Produktion im Kontext von Migrationsbewegungen, Flucht, Diaspora- und Exilsituationen
  • Stellenwert von Religion(en) in der Kunst der Moderne und Gegenwart
  • Künstlerische Praxen und kulturtheoretische Konzepte wie Hybridität, Multi-, Inter- Transkulturalität
  • Ethnizität(en) und kulturelle Identität(en) in künstlerischen Praxen
  • „Migratory Aestetics“ (Mieke Bal) und „neue Identitäten/neue Ethnizitäten“ (Stuart Hall)
  • Relevanz des Migrationsparadigmas für die Kunstgeschichte der Moderne
  • Kulturelle Stereotypen und ihre Kritik
  • Religiöse und säkulare Fundamentalismen in post/migrantischen Gesellschaften